Herr Lazay, Sie sind seit vielen Jahren erfolgreich in der Personaldienstleistungsbranche tätig. Erzählen Sie uns doch bitte in drei bis vier Sätzen von Ihrem beruflichen Werdegang.
In einer Art Steckbrief würde wohl stehen: über 25 Jahre Erfahrung in Zeitarbeit und Personalvermittlung, für Industrie, Handwerk, öffentliche Hand und das Sozialwesen, in Ost und West, Nord und Süd gearbeitet, mittelständischer Unternehmer und dabei immer verrückt genug, auch die Interessen der gesamten Branche zu sehen. So ist mein ehrenamtliches Engagement in der Wirtschaft stets mit meinen beruflichen Aktivitäten einhergegangen. Das hat mir immer viel Spaß gemacht und das tut es auch heute noch.
Auf den Arbeitsmarkt wirken derzeit viele Einflussfaktoren wie das Coronavirus, die Digitalisierung und der Fachkräftemangel ein. Welche Folgen haben diese Faktoren für die Personaldienstleistungsbranche?
Es ist ganz eindeutig: Die Folgen der Corona-Pandemie stellen auch uns als Personaldienstleister vor gewaltige Herausforderungen. Denn Covid-19 führte nicht nur zum größten Konjunktureinbruch seit mehr als 70 Jahren, sondern hatte auch schmerzhafte Konsequenzen für die Zeitarbeitsunternehmen. So gab es in der Arbeitnehmerüberlassung im Jahr 2020 einen Umsatzrückgang von knapp 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dieser immense Einbruch traf unsere Branche insgesamt und ganz besonders die Zeitarbeitsunternehmen mit Fokus auf solche Kunden, die direkt oder indirekt vom Lockdown betroffen waren. Aber ich möchte nicht nur Trübsal blasen. Denn trotz der unsicheren Lage in Folge der neuen Omikron-Virusvariante kann die Zeitarbeit doch mit deutlichem Optimismus in die Zukunft blicken. So sind mittlerweile nur noch rund 3% der Beschäftigten in der Zeitarbeit in Kurzarbeit. Zum Vergleich: im Mai 2020 war noch fast jeder Vierte davon betroffen. Und auch die Gesamtzahl der Zeitarbeitskräfte steigt wieder kontinuierlich an und liegt mittlerweile wieder bei rund 730.000.
Aber die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind auch mit Blick auf die gesamte Arbeitswelt immens. Viele Umbrüche sind unumkehrbar und werden den Arbeitsmarkt der Zukunft dauerhaft prägen. Ein ganz wichtiger Aspekt: die örtliche und zeitliche Flexibilität werden künftig eine viel stärkere Rolle als bisher spielen. Daraus ergibt sich eine große Chance für die Zeitarbeit. Denn der flexible Personaleinsatz ist seit jeher eine Kernkompetenz unserer Branche, die aus meiner Sicht drei wesentliche Funktionen in der Arbeitswelt von morgen haben wird: Erstens hat sie eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung einer sogenannten erweiterten Personalstrategie, also einem Mix aus Stammbelegschaft, externen Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern und Zeitarbeitskräften. Zweitens wird die Zeitarbeit weiterhin ihre Rolle als tarif- und arbeitsrechtlich abgesicherte Beschäftigungsform für jene Menschen ausspielen können, die neue Herausforderungen suchen, aber sich eben nicht dauerhaft an ein bestimmtes Unternehmen binden wollen. Die dritte Funktion ist die Rolle als Personalentwickler für andere Unternehmen. Hier steckt noch viel ungenutztes Know-how in der Branche, dass es zu nutzen gilt. Denn Social-Media-Kanäle und Online-Jobbörsen sind inzwischen entscheidend bei der Suche nach geeigneten Kandidaten und Kandidatinnen. Das ist eine große Chance für Personaldienstleister, die durch den zunehmenden Einsatz von E-Recruiting mittlerweile Wertschöpfungsvorteile gegenüber den Personalabteilungen ihrer Kundenunternehmen generieren.
Eines dürfen wir aber trotz der derzeit alles dominierenden Corona-Krise und ihren Folgen nicht vergessen: Der immer gravierender werdende Fach- und Arbeitskräftemangel fordert den deutschen Arbeitsmarkt mehr als je zuvor heraus. Schon heute ist es so, dass in bestimmten Regionen und Branchen Deutschlands offene Stellen nicht mit geeigneten Arbeitskräften besetzt werden können. Wir als Personaldienstleister müssen dabei im Übrigen - wie alle anderen Arbeitgeber auch - aktiv um Kandidaten werben und stehen dabei in einem harten Wettbewerb um die besten Köpfe. Aber nicht nur diese personellen Engpässe, sondern auch die Digitalisierung und Automatisierung verändern derzeit in rasantem Tempo Arbeitsabläufe, Berufsbilder und Produktionsprozesse. Nicht zu unterschätzen ist zudem die Herausforderung durch die Generation Z, die derzeit auf den Arbeitsmarkt strömt. Diese fordert Flexibilität statt starren Arbeitszeiten und erfüllende Aufgaben, mit denen sie sich identifizieren kann. All dies sind zentrale Gegenwarts- und Zukunftsthemen, welche die Branche verändern werden und mit denen sich die Personaldienstleister zwangsläufig auseinandersetzen müssen.
Das Thema "Zeitarbeit" ist in der Öffentlichkeit nicht unumstritten und oftmals mit den unterschiedlichsten Vorurteilen verbunden. Manche Menschen sehen in diesem Anstellungsverhältnis sogar vorrangig Nachteile. Was entgegnen Sie diesen Vorbehalten?
Der Personaldienstleistungsbranche ist es in den letzten Jahren gelungen, durch gute und professionelle Arbeit ihr Image maßgeblich zu verbessern. Aber es ist in der Tat so, dass es in der Öffentlichkeit und auch gerade in den Medien teilweise immer noch Vorbehalte gegen die Zeitarbeit gibt. Doch bei einem Blick auf die dort oftmals populistisch geäußerten Vorurteile zeigt sich, dass die Fakten eine ganz andere Sprache sprechen.
Bestes Beispiel: Die Personaldienstleister sind für Geflüchtete, Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte der Integrationsdienstleister in den Arbeitsmarkt schlechthin. Denn diese Jobsuchende erhalten hier eine Chance, die sie von anderen Branchen nicht erhalten haben. Beeindruckende Zahlen machen dies deutlich. So lag laut den neuesten Angaben der Bundesagentur für Arbeit der Anteil der Zeitarbeit an Beschäftigungsaufnahmen Geflüchteter insgesamt im Zeitraum Juli 2020 bis Juni 2021 bei 34,5 Prozent. Mehr als jeder dritte Geflüchtete hat also durch die Zeitarbeit den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten! Zum Vergleich: Keine andere Branche hat auch nur annähernd so viele Flüchtlinge integriert. Wenn man dabei bedenkt, dass lediglich 2,1 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland Zeitarbeitskräfte sind, wird die Leistung unserer Branche umso deutlicher.
Ähnlich große Bedeutung haben die Personaldienstleister auch beim Wiedereinstieg von Langzeitarbeitslosen ins Berufsleben. Im Jahresdurchschnitt 2020 kamen fast zwei Drittel der Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer, die einen neuen Arbeitsvertrag mit einem Personaldienstleister abgeschlossen hatten, aus der Beschäftigungslosigkeit. Und nicht zu vergessen: Die Zeitarbeit ist die Branche, die – gemessen an ihrer Größe von etwas mehr als 2 Prozent – die meisten Langzeitarbeitslosen in Deutschland einstellt.
Dabei, und das ist mindestens genauso wichtig, bieten die Personaldienstleister nachhaltige Beschäftigungsperspektiven. Denn Menschen, die ihre Arbeitslosigkeit durch Zeitarbeit beenden, bleiben in der überwiegenden Mehrheit in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. So waren rund 70 Prozent der Menschen, die zuvor keine Arbeit hatten, auch noch nach einem Jahr weiterhin in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.
Darüber hinaus arbeiten aber in der Zeitarbeit auch immer mehr hochqualifizierte Menschen, für welche die Zeitarbeit ein echtes Karrieresprungbrett ist. Das ist ein weiterer Fakt, der in der Öffentlichkeit gerne mal bewusst oder unbewusst verdrängt wird. Verfügten 2013 nur 5,6 Prozent der Zeitarbeitskräfte über einen akademischen Abschluss, waren es 2020 schon 9,8 Prozent. Gerade im hochqualifizierten Bereich bietet die Zeitarbeit also sehr gute Bedingungen auch für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger, die sich zunächst erproben und dann den für sie dauerhaft passenden Arbeitgeber finden können.
Diese differenzierte Sicht auf die Dinge ist mir sehr wichtig. Wissen Sie, ohne das funktionierende Geschäft mit gut qualifizierten und motivierten Beschäftigten und die so entstehende Wertschöpfung würden Menschen, die es schwer(er) am Arbeitsmarkt haben, nicht mitgezogen werden. Chancen für diese Zielgruppe entstehen dann, wenn unsere Branche insgesamt floriert. Das ist für mich ein Schlüsselargument gegen immer wieder neu diskutierte Regulierungsideen.
Die jüngere Generation (Generation Z) tritt nach und nach in den Arbeitsmarkt ein. Welche Auswirkungen wird dies für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben?
Mit der Generation Z betreten momentan junge Menschen den Arbeitsmarkt, die ganz andere Werte und Erwartungen haben als ihre Vorgänger. Damit stellen sie uns Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vor völlig neue Herausforderungen, aber kreieren damit gleichzeitig auch neue Chancen und Möglichkeiten.
Ganz wichtig: Die Generation Z bringt grundlegend neue Voraussetzungen für die Arbeitswelt mit. Sie sind in einer digitalen Welt aufgewachsen und sind es gewohnt, eine Flut von digitalen Informationen zu verarbeiten und für sich zu nutzen. Zudem ist die Generation Z durch völlig andere Erwartungen und Wertemuster als die Generationen vor ihr geprägt. Sie will unabhängig sein, geht neugierig und offen auf ihr Arbeitsleben zu und strebt nach dem für sie optimalen Mix aus Arbeitsleben und Freizeit. Aber gleichzeitig verliert der Arbeitgeber an Stellenwert. Doch das muss nicht unbedingt gleich Grund zur Klage sein. Denn es bedeutet nicht, dass die neue Generation weniger Leistungswillen zeigt. Tatsache ist jedoch, dass der Arbeitgeber sie anders motivieren muss. Umfragen haben gezeigt, dass bei der Generation Z nicht die Höhe des Gehaltes und der mit der Arbeitsstelle verbundene Status an erster Stelle stehen. Ihr geht es stattdessen um Selbstverwirklichung, Spaß am Beruf, gutes Arbeitsklima und das passende Arbeitsumfeld. Hier sind wir als Arbeitgeber gefragt durch interessante Projekte, wechselnde Herausforderungen, gute Entwicklungsmöglichkeiten und ergebnisorientierte Führung für entsprechende Motivation zu sorgen.
Bei der Vorgänger-Generation Y wurde oftmals spät erkannt, dass ein Umdenken in der Führung notwendig ist. Vieles hat sich erst nach und nach durchgesetzt: Flexible Arbeitszeiten, Rücksicht auf die Work-Life-Balance und leistungsorientierte Vergütung beispielsweise. Für die Generation Z müssen die Unternehmen noch weiter umdenken. Für sie sind auch Faktoren wie gute Förderung und ein Mitspracherecht von Beginn an unabdingbar. Die Folge: Gerade in den Führungsetagen der Unternehmen muss ein noch stärkeres Umdenken stattfinden. Das fängt beim möglichst schnellen, digitalen Bewerbungsprozess an und endet in der Kommunikation auf Augenhöhe mit den jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Zu seiner Person:
Sebastian Lazay ist seit 2017 Präsident des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP). Er ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Extra Team GmbH mit Sitz in Hamburg. Lazay ist zudem seit 2013 Vizepräsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA) und Vorstandsmitglied in der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).