Was bedeutet Candidate Experience für dich?
‚Candidate Experience‘ ist die Erfahrung, die man macht, wenn man sich für die Mitarbeit in einem Unternehmen interessiert. Sie startet mit dem ersten Kontakt und reicht bis zum Ende der Bewerbungsphase, also bis nach der Ab- bzw. Zusage. Im Falle einer Zusage geht es dann nahtlos über ins Onboarding. Erfahrungen werden an allen Touch Points, sprich Berührungspunkten gemacht, wie z.B. der Webseite, Karriereseite, bei jeglicher Kommunikation – über digitale Kanäle oder persönlich.
Die Candidate Experience aktiv zu gestalten, wird immer wichtiger, denn die Zeiten, in denen wir aus einer Fülle von qualifizierten Bewerbern schöpfen konnten, ist vorbei. Heute ist es eher so, dass sich Unternehmen bei potenziellen Kandidaten bewerben müssen. Hierfür muss man sichtbar sein, Marke und Kultur gut transportieren, klar beschreiben, wen man sucht und bei jedem Kontakt authentisch und wertschätzend kommunizieren. Hierfür braucht es in meiner Welt zum Marketing- und Tech-Know-how auch eine gute Haltung und ein positives Menschenbild. Schließlich hat man es mit Individuen zu tun, die sich Mühe geben und viel Zeit in eine Bewerbung investieren.
Bewusst gelebte Candidate Experience wirkt sich positiv auf den Erfolg und das Image des Unternehmens aus. Und: gute Erfahrungen generieren mehr qualifizierte Bewerber:innen, denn das spricht sich rum.
Design Hotels ist ein global agierendes Unternehmen. Welche Rolle spielt die Candidate Experience bei dieser Größenordnung für die Kandidaten-Rekrutierung? Kannst Du ein paar Best-Practice-Beispiele aus deinem Alltag geben?
Wie schon erwähnt, braucht es in meiner Welt eine wertschätzende Haltung, um eine gute Candidate Experience zu schaffen. Ich habe immer darauf geachtet, dass alle Menschen, die mit uns in Kontakt kommen, freundlich, respektvoll und wertschätzend behandelt wurden. Als global agierendes Unternehmen ist es auch essenziell, dass potenzielle Kandidat:innen sofort erkennen, wofür wir stehen, welche Kultur und welche Werte wir leben. Wir haben viel Wert auf eine gute Candidate Experience gelegt, den Prozess kontinuierlich weiterentwickelt und natürlich auch digitalisiert, um den administrativen Teil zu vereinfachen und so mehr Zeit für den persönlichen Kontakt zu haben. Design Hotels ist eine starke Marke und wir haben das Glück, dass die Marke allein schon sehr attraktiv und sichtbar ist. Das Employer Branding wurde immer darauf aufgebaut. Essentiell wichtig ist die inklusive Ansprache. Alle sollen sich willkommen fühlen.
Wie bist du als HR-Verantwortliche mit diesem Thema umgegangen?
In Zusammenarbeit mit meinem Team, habe ich die einzelnen Phasen aktiv gestaltet und kontinuierlich optimiert.
In der Anziehungsphase, wenn es zum ersten Kontakt zwischen uns und potenziellen Kandidat:innen kommt, geht es darum sich attraktiv, inspirierend und innovativ zu präsentieren. Die Kandidat:innen müssen schnell erkennen können, ob sie sich mit der Marke, den Produkten und dem Umfeld identifizieren und sich als Teil des Teams sehen können. Wichtig sind die Auswahl der relevanten Kanäle und eine entsprechend authentische Außendarstellung. Neben der Webseite, der Karriereseite und dem Social-Media-Auftritt sind beispielsweise auch Job Fairs gute Möglichkeiten sich zu präsentieren, um Nachwuchstalente anzuziehen. Ich habe immer engen Kontakt zu Universitäten und Hotelfachschulen gepflegt, dort Vorträge gehalten, Geschichten erzählt (auch meine persönliche Story) und gezeigt, wie es ist, bei uns zu arbeiten. Die Kandidaten konnten so gelebte Kultur sehen. Storytelling ist ein wunderbares Mittel und ein elegantes Tool im Recruiting, über das man einen guten Einblick in das Unternehmen und die Kultur geben kann. Sehr wirkungsvoll ist es die Mitarbeiter einzubinden und die Geschichten erzählen zu lassen.
In der Informationsphase, wenn Kandidaten nach detaillierten Informationen zum Unternehmen oder der Stelle suchen, landen sie meist auf der Web- bzw. der Karriereseite. Wir haben die Karriereseite kontinuierlich gepflegt und darauf Wert gelegt, dass die Stellen- bzw. Rollenbeschreibungen klar und professionell gestaltet sind, die Sprache die Kultur widerspiegelt und gelebte Diversität vermittelt wird.
In der Bewerbungsphase gilt es den Prozess über digitale Tools so leicht, intuitiv und schnell wie möglich zu gestalten. Es gilt die Erwartungen klar zu kommunizieren – z.B. welche Dokumente und Infos werden tatsächlich gewünscht und was kann ich mir im ersten Schritt sparen. Die Tools ermöglichen eine automatische Eingangsbestätigung. Das gibt den Bewerber:innen Sicherheit, dass die Unterlagen angekommen sind und bearbeitet werden. Hierfür haben wir ein digitales Bewerbermanagement-Tool genutzt. Diese Tools sind nur so gut, wie man sie auf die eigenen Bedürfnisse und die eigenen Prozesse adaptiert. Wir haben personalisiert, was möglich war und visuell und sprachlich unserer Kultur angepasst. Das Bewerbermanagement zu digitalisieren ist meiner Ansicht nach heutzutage unerlässlich. Für jede Unternehmensgröße gibt es passende Anbieter. Das richtige Tool zu finden ist nicht immer einfach, aber eine detaillierte Recherche, während des Sales Prozesses viele Fragen zu stellen, Testing und Austausch mit HR-Kollegen helfen dabei. Ich habe auch immer den persönlichen Kontakt zu einem Account Manager eingefordert und gepflegt.
Die Auswahlphase ist die für das Unternehmen die aufwendigste und für die Kandidat:innen die aufregendste Phase. Hinter den Kulissen in der HR-Abteilung gibt es viel Abstimmungsarbeit mit den Fachabteilungen, es gilt die Kommunikation mit den Bewerber:innen zügig und professionell zu managen. Kommt es zu einem Live- oder Online-Interview, ist dies der erste persönlichen Kontakt, der besonderer Aufmerksamkeit und Vorbereitung bedarf. Wir hatten auch schon vor Pandemiebeginn regelmäßig Online-Interviews geführt, denn viele unserer Kandidat:innen kamen nicht aus Berlin. Das Interview ist der Moment, in dem die Kultur tatsächlich erlebbar wird. Die Kandidat:innen sehen die Räumlichkeiten, treffen mögliche künftige Vorgesetzte, Kollegen etc. Wir haben immer darauf geachtet, dass die Kandidat:innen ein gutes und umfassendes Bild erhalten. Interviews gilt es gut vorzubereiten und einen Ablauf passend zum Unternehmen und der Stelle zu designen. Alle Personen, die beim Interview anwesend sind und Fragen stellen, sollten hierauf geschult sein. Wieder geht es um Freundlichkeit, Wertschätzung und Authentizität. Wie im Coaching beginnt jedes Interview mit dem Beziehungsaufbau, um Vertrauen zu gewinnen. Über Fragen wird alles Relevante eruiert. Beide Seiten prüfen den Cultural Fit. Ich halte viel von guten Fragen, die auch mal herausfordernd und überraschend sein dürfen. Angst hatte in unseren Räumen aber noch nie jemand.
Sobald ein Vertrag unterzeichnet ist, geht es dann über ins Onboarding. Wichtig ist, die positive Candidate Experience auch hier weiterzuführen. Hier helfen wieder digitale Tools, z.B. Onboarding-Apps, über die man die Zeit bis zum ersten Arbeitstag und bis 100 Tage danach begleiten kann. Neue Mitarbeiter:innen sollen sehen, dass alles, was bisher gesagt wurde, auch Realität ist. Für Unternehmen heißt es also ‚Walk-the-talk‘. Gut ist es den neuen Mitarbeiter:innen einen Buddy bzw. Mentor zur Seite zu stellen, der die Experience begleitet.
Du hast erfolgreich zwei Jahrzehnte für die Design Hotels die Human Resources Abteilung geführt. Welche Veränderungen im Bereich der Candidate Experience hast du in dieser Zeit wahrgenommen?
Die gravierendste Veränderung brachte meiner Ansicht die zunehmende Digitalisierung. Die Implementierung von Tools und die Ansprache über digitale Kanäle haben viel Erleichterung in die HR-Arbeit gebracht. Mit dem demographischen Wandel und dem War for Talent wird der Candidate Experience zunehmend mehr Aufmerksamkeit gewidmet und der Prozess wird proaktiver gestaltet.
Können Unternehmen mit Hilfe einer optimierten Candidate Experience einfacher Kandidaten für sich gewinnen?
Davon bin ich absolut überzeugt. Es gibt auch viele Studien zu diesem Thema. Ich denke nicht, dass sich Unternehmen – egal wie groß oder klein – heutzutage noch leisten können, die Candiate Experience dem Zufall zu überlassen.
Du arbeitest als freiberufliche Trainerin. Wie wirkt sich die Candidate Experience auf deine Auftragsakquirierung und Arbeit aus?
Die Phasen der Candidate Experience kann man meiner Ansicht nach auch auf externe Dienstleister, wie beispielsweise Trainer- oder Coaches anwenden. Meine Lieblingskunden suche ich nach den gleichen Kriterien aus, wie ich auch bei der Suche nach einer festen Mitarbeit vorgehen würde. Ich informiere mich über das Unternehmen, versuche so viel wie möglich über die Kultur und Werte zu erfahren. Bei der Kontaktaufnahme und Beziehungsgestaltung schaue ich mir genau an, wie man mir als potenzieller externer Dienstleisterin begegnet. Meine Ansprechpartner sind meist Gründer:innen, Geschäftsführer:innen bzw. die HR-Abteilung. Ich stelle viele Fragen über die Kommunikation und lerne so sehr viel über das Unternehmen und potenzielle Handlungsfelder.
Hat sich dein Blick auf die Candidate Experience verändert, seitdem du als selbstständige Trainerin arbeitest?
Ja, mein Blick hat sich verändert bzw. erweitert, seit ich nicht mehr auf Unternehmensseite arbeite. Das war spannend für mich. Ich war mein Leben lang angestellt und quasi immer Teil des Systems. Jetzt schaue ich von außen drauf, habe so eine neue Perspektive hinzugewonnen. Mir fallen andere Dinge auf und manche Aspekte erlebe ich jetzt bewusster. Ich habe schon immer versucht mich in die Kandidat:innen hineinzuversetzen, um die Experience bestmöglich zu designen. Ist man aber tatsächlich auf der anderen Seite, sieht man die Dinge auch wirklich von der anderen Seite. Durch diesen Perspektivwechsel ist mir noch einmal die Wichtigkeit des Themas verdeutlicht worden.
Was können Unternehmen für eine positive Candidate Experience machen?
Zunächst einmal ist es wichtig sich darüber klar zu werden, dass es sich um eine Journey handelt, die aktiv gestaltet werden darf. Es gilt für jede Phase die zur Kultur und den Anforderungen passenden Maßnahmen zu ergreifen. Ich rate dazu andere Abteilungen und Mitarbeiter einzubinden und so co-kreativ innovative Ideen zu generieren und umzusetzen. Gerne über verschiedene Generationen und Gruppen verteilt, um den Prozess so inklusiv wie möglich zu gestalten. Feedback von Kandidat:innen gilt es wahrzunehmen und die Experience wenn notwendig entsprechend anzupassen. Eine positive Haltung und wertschätzender Umgang sind die Basis für alle Aktivitäten.
Wie würdest du als Unternehmen mit negativen Rezensionen zur Candidate Experience im Internet umgehen?
Ich kann nur empfehlen die entsprechenden Seiten wie beispielweise Glassdoor und Kununu gut zu pflegen und im Auge zu behalten. Es lohnt sich genau zu analysieren, was und warum etwas kritisiert wird. Manchmal ist es eine einzelne Erfahrung, die zum negativen Feedback führt. Oft steckt aber etwas dahinter, aus dem man lernen kann. Jede Rezension verdient eine Antwort, gerade die negativen. Das heißt auf jeden Fall schnell reagieren und Stellung nehmen. Das macht nicht so viel Spaß, ist aber notwendig. Ich habe mal die PR-Abteilung meinen Textentwurf lesen lassen. Ich war damals persönlich für die Situation verantwortlich und die Kritik war gerechtfertigt. Ich war gestresst, hatte etwas zu viel Zeit vergehen lassen, bis ich der Kandidatin geantwortet hatte. Ich wusste, dass der Text von ihr stammte und habe mich dann auch noch persönlich bei ihr gemeldet. Wir sind alle Menschen und nicht perfekt. Trotz des best-designten Prozesses kann es mal zu einer nicht so tollen Erfahrung kommen. Das darf man dann auch besprechen und daraus lernen. Hat jemand eine wirklich schlechte Erfahrung gemacht, besteht die Gefahr, dass diese Person zum Negativ-Multiplikator wird. Das kann dann schnell der Arbeitgebermarke und dem Image schaden und sollte unbedingt vermieden werden.
Was war deine schlimmste Candidate Experience, die du jemals gemacht hast?
Ehrlich gesagt gibt es da einige. Ich bin als freie Coachin und Trainerin unterwegs. Wenn ich aber ein spannendes Jobangebot auf Xing oder meist LinkedIn sehe, dann bewerbe ich mich auch mal. Meine Erfahrungen decken sich leider mit den alarmierenden Studien. Eine ordentliche Bewerbung kostet Zeit und Mühen. Dies sollte auch wertgeschätzt werden. In der Regel erhält man noch die automatische Eingangsbestätigung, das war’s aber dann. Das ist ein No-Go! Wenn man nichts mehr hört, obwohl die Anzeige noch Monate weiter auf den Social-Media-Kanälen gespielt und einem immer wieder vorgeschlagen wird, kann das schon wütend machen. Auch automatisierte Absagen, die teilweise nur BlaBla sind, sollten vermieden werden. Ich hatte mich mal auf eine Vice President Stelle beworben. Profil 1:1 Match. Absage standardisiert – hätte auch für eine Praktikumsstelle gepasst. Daraufhin hatte ich den HR-Verantwortlichen angeschrieben und gefragt, ob er gerne Feedback zur Candidate Experience habe wolle. Da hatte ich ganz schnell eine nette und persönliche Nachricht mit detaillierten Informationen in der Inbox. Geht doch!
Es ist nicht so schwer die Standard-Mail mit ein paar Sätzen zu personalisieren und so Respekt und Wertschätzung auszudrücken. Und gerade, wenn es sich um Menschen handelt, die über viel Erfahrung und viele Kontakte verfügen. Denn das kann schnell nach hinten losgehen. Macht man das nicht, darf man sich auch nicht wundern, wenn man auf Kununu oder Glassdoor schlechten Bewertungen bekommt. Kunden und Gäste lassen sich eine schlechte Experience nicht mehr gefallen, warum nehmen wir an, dass Kandidaten das tun?
Dein persönlicher Profi-Tipp für Unternehmen zum Thema Candidate Experience?
Das Thema bewusst angehen, andere Fachbereiche wie Marketing und IT (bei der Auswahl der Tools) mit einbinden. Und vor allem auch die Mitarbeiter einbeziehen – für Ideen, Anregungen, Geschichten, als Marken-Botschafter und Multiplikatoren.
Kandidat:innen bitten Bewertungen abzugeben und positive Erfahrungen auch gerne mit Freunden und ihren Netzwerken zu teilen.
Den Prozess proaktiv gestalten, zügig und offen kommunizieren, falls und warum es doch etwas länger dauert. Bewerber:innen als Individuen mit Bedürfnissen sehen und das Interesse und die Mühen wertschätzen.
Auf inklusive Sprache und Darstellung achten! Kreativ werden und die Kultur transportieren.
Vielen Dank für die Möglichkeit meine Gedanken und Erfahrungen zu diesem für mich wichtigen Thema teilen zu dürfen!
Zur Person:
Susan Meinl war mehr als 20 Jahre als HR-Leader und Mitglied des Senior Leadership Teams bei Design Hotels AG (heute Design Hotels GmbH), einem dynamischen, internationalen Lifestyle-Unternehmen in der Tourismusbranche, tätig. In ihrer Rolle als VP People & Culture war sie für 120 Mitarbeiter an 5 Standorten (Berlin, London, New York, Los Angeles und Singapur) verantwortlich. Sie war neben allen strategischen und operativen HR-Aufgaben mit der Kultur- und Organisations-entwicklung betraut. Seit Anfang 2021 nutzt sie ihre Erfahrung als Beraterin, HR-Mentorin, Coach und Trainerin um Menschen auf dem Weg der Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, sowie um Unternehmen bei der Implementierung neuer, agiler Arbeitsformen und Organisationsstrukturen zu begleiten. Ihr liegt daran Brücken zwischen gewachsenen Strukturen und der neuen Welt zu bauen und so Transformation von innen nach außen zu ermöglichen.